Deutscher Ethikrat releases opinion document and press release on its inquiry into intersex in Germany

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Deutscher Ethikrat: Intersexuelle Menschen anerkennen, unterstützen und vor gesellschaftlicher Diskriminierung schützen

PRESSEMITTEILUNG 01/2012

Berlin, den 23. Februar 2012
Deutscher Ethikrat: Intersexuelle Menschen anerkennen, unterstützen und vor gesellschaftlicher Diskriminierung schützen - click to read this press release in situ.

DER Deutsche Ethikrat stellt am heutigen Donnerstag in Berlin seine im Auftrag der Bundesregierung erarbeitete Stellungnahme zur Situation intersexueller Menschen vor. Er ist der Auffassung, dass intersexuelle Menschen als Teil gesellschaftlicher Vielfalt Respekt und Unterstützung der Gesellschaft erfahren müssen. Zudem müssen sie vor medizinischen Fehlentwicklungen und Diskriminierung in der Gesellschaft geschützt werden.

Im Mittelpunkt der Diskussionen stand immer wieder die Frage, ob chirurgische Eingriffe an den Geschlechtsorganen von Menschen mit Besonderheiten der geschlechtlichen Entwicklung (DSD – differences of sexs development) und insbesondere bei betroffenen Kleinkindern überhaupt zulässig sein sollten.

Irreversible medizinische Maßnahmen zur Geschlechtszuordnung bei Menschen mit uneindeutigem Geschlecht stellen einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Wahrung der geschlechtlichen und sexuellen Identität und das Recht auf eine offene Zukunft und oft auch in das Recht auf Fortpflanzungsfreiheit dar. Die Entscheidung darüber ist höchstpersönlich. Daher empfiehlt der Ethikrat, dass sie grundsätzlich von den Betroffenen selbst getroffen werden sollte. Bei noch nicht selbst entscheidungsfähigen Betroffenen sollten solche Maßnahmen nur erfolgen, wenn dies nach umfassender Abwägung aller Vor- und Nachteile des Eingriffs und seiner langfristigen Folgen aufgrund unabweisbarer Gründe des Kindeswohls erforderlich ist. Dies ist jedenfalls der Fall, wenn die Maßnahme der Abwendung einer konkreten schwerwiegenden Gefahr für die physische Gesundheit oder das Leben der Betroffenen dient.

Wenn, wie im Falle des Adrenogenitalen Syndroms (AGS), das Geschlecht festgestellt werden kann, sollte bei noch nicht selbst entscheidungsfähigen Betroffenen die Entscheidung über die operative Angleichung der Genitalien an das Geschlecht nur nach umfassender Abwägung der medizinischen, psychologischen und psychosozialen Vor- und Nachteile einer frühen Operation erfolgen. Maßgeblich ist auch hier das Kindeswohl. Im Zweifel sollte auch bei solchen geschlechtsvereindeutigenden Eingriffen die Entscheidungsfähigkeit der Betroffenen abgewartet werden.

Die medizinische Diagnostik und Behandlung von DSD-Betroffenen sollte nur in einem speziell dafür qualifizierten interdisziplinär zusammengesetzten Kompetenzzentrum von Ärzten und Experten aus allen beteiligten Disziplinen vorgenommen werden. Die fortlaufende medizinische Betreuung soll in unabhängigen qualifizierten Betreuungsstellen bei gleichzeitiger Beratung durch andere Betroffene sowie Selbsthilfeeinrichtungen fortgeführt werden. Alle Behandlungsmaßnahmen sollten umfassend dokumentiert werden und den Betroffenen für mindestens 40 Jahre zugänglich sein. Die Regelungen zur Verjährung bei Straftaten an einem Kind sollten auf solche Straftaten erweitert werden, durch die die Fortpflanzungsfähigkeit und/oder die sexuelle Empfindungsfähigkeit irreversibel beeinträchtigt wurde.

Für Betroffene, die Schmerzen, persönliches Leid, Erschwernisse und dauerhafte Einschränkungen ihrer Lebensqualität erlitten haben, weil sie Behandlungen unterzogen wurden, die nach heutigen Erkenntnissen nicht (mehr) dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik zugerechnet werden können und auf ausgrenzenden gesellschaftlichen Vorstellungen von geschlechtlicher Normalität beruhten, sollte ein Fonds errichtet werden, der ihnen Anerkennung und Hilfe zukommen lässt. Darüber hinaus sollten Selbsthilfegruppen und Betroffenenverbände öffentlich finanziell gefördert werden.

Der Ethikrat ist zudem der Auffassung, dass ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Gleichbehandlung vorliegt, wenn Menschen, die sich aufgrund ihrer körperlichen Konstitution weder dem Geschlecht „weiblich“ noch „männlich“ zuordnen können, rechtlich gezwungen werden, sich im Personenstandsregister einer dieser Kategorien zuzuordnen. Es sollte daher geregelt werden, dass von diesen Personen neben der Eintragung als „weiblich“ oder „männlich“ auch „anderes“ gewählt werden kann bzw. dass kein Eintrag erfolgen muss, bis die betroffene Person sich selbst entschieden hat. Um Personen, die im Personenstandsregister als „anderes“ eingetragen sind, die Möglichkeit einer Beziehung zu eröffnen, die staatlich anerkannt und rechtlich geregelt von Verantwortung und Verlässlichkeit geprägt ist, schlägt der Ethikrat mehrheitlich vor, Menschen mit dem Geschlechtseintrag „anderes“ die eingetragene Lebenspartnerschaft zu ermöglichen. Ein Teil des Ethikrates plädiert darüber hinaus dafür, ihnen auch die Möglichkeit der Eheschließung zu eröffnen. Als Grundlage für künftige Entscheidungen des Gesetzgebers sollte geprüft werden, ob eine Eintragung des Geschlechts im Personenstandsregister überhaupt noch notwendig ist.

Der Begriff Intersexualität bezieht sich auf Menschen, die sich aufgrund körperlicher Besonderheiten nicht eindeutig als „männlich“ oder „weiblich“ einordnen lassen. Er wird in der Öffentlichkeit für unterschiedliche Besonderheiten der geschlechtlichen Entwicklung verwendet. Teilweise werden auch Menschen darunter gefasst, die sich selbst nicht als intersexuell verstehen und sich sogar gegen diesen Begriff verwahren. Der Ethikrat verwendet daher in seiner Stellungnahme DSD (differences of sex development) als medizinischen Oberbegriff für alle Besonderheiten der geschlechtlichen Entwicklung. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Formen von DSD bringen jeweils besondere Probleme und Bedürfnisse der Betroffenen mit sich. Sie erfordern eine differenzierte ethische und rechtliche Bewertung.

In seiner Stellungnahme differenziert der Ethikrat zudem zwischen „geschlechtsvereindeutigenden“ und „geschlechtszuordnenden“ Eingriffen, die unterschiedlich zu bewerten sind. Mit einem vereindeutigenden Eingriff ist die Korrektur einer biochemisch-hormonellen Fehlfunktion, die potenziell einen gesundheitsschädigenden Charakter hat, gemeint. Gegebenenfalls kann auch ein operativer Eingriff zur Angleichung des äußeren Erscheinungsbildes an das genetisch und durch die inneren Geschlechtsorgane feststehende Geschlecht gemeint sein. Demgegenüber greifen geschlechtszuordnende Interventionen sehr viel weiter in die Persönlichkeit des Kindes ein, da bei vorliegender Unbestimmbarkeit von Eltern und Ärzten entschieden wird, zu welchem Geschlecht die Zuordnung erfolgen soll.

Opinion document on situation of intersex people in Germany, downloadable as a PDF:

Translation of the press release, kindly provided by Justus Eisfeld:

German Ethics Council: intersex people should be acknowledged, supported and protected from social discrimination

PRESS RELEASE 01/2012

Berlin, 23 February 2012

THE German Ethics Council presents its opinion on the situation of intersex people which was commissioned by the federal government today, Thursday. It believes that intersex people should experience respect and societal support as part of social diversity. Furthermore they must also be protected against medical mistakes and discrimination in society.

The focus of the discussions was again and again the question of whether surgery on the sexual organs of people with particular characteristics of sex development (DSD – differences of sex development), particularly in affected infants, should be allowed at all.

Irreversible medical interventions of gender assignment in people with ambiguous genitalia constitute an infringement of the right to physical integrity, the respect for gender and sexual identity and the right to an open future, as well as often also the right to reproductive freedom. This decision is highly personal. Therefore, the Ethics Council recommends in principle that they should be taken by the individuals themselves. For those who are not yet capable of making decisions themselves such measures should only be taken after carefully weighing all the pros and cons of the procedure and its long-term consequences in the case of irrefutable reasons of child welfare. This is certainly the case if the measure is aimed at averting a specific serious risk for physical health or life of those affected.

If, as in the case of adrenogenital syndrome (AGS), the sex can be determined, the decision on the surgical alignment of the genitals to the gender in the case of those not yet capable of making decisions themselves should be taken only after carefully weighing the medical, psychological and psycho-social advantages and disadvantages of performing an early surgery. Again, the child’s welfare is decisive. When in doubt, also with these gender disambiguating procedures the decision-making ability of those affected should be awaited.

The medical diagnosis and treatment of DSD-affected individuals should only be performed in a specially qualified interdisciplinary center of competence of doctors and experts from all disciplines involved. Ongoing medical care should happen in independent qualified support centers together with counseling by other affected people and through self-help organizations. All treatment procedures should be documented exhaustively and be accessible to those affected for at least 40 years. The provisions of the statute of limitations for crimes against a child should be extended to such offenses, where the fertility and/or sexual sensibility was irreversibly affected.

For affected people, who have suffered pain, personal hardship, difficulties and permanent restrictions on their quality of life because they have been subject to treatment, which according to current knowledge, no (longer) can be attributed to the state of medical science and technology and which was based on exclusionary social ideas of sexed or gendered normality, a fund that can provide them with recognition and support should be established. In addition, self-help groups and advocacy organizations should be supported by public funding.

The Ethics Board also believes that a non-justifiable encroachment on the personal rights and the right to equal treatment is present when people who cannot be assigned as “female” or “male” because of their physical condition are legally compelled to assign themselves to either category in the civil registry. It should therefore be stipulated that in addition to the registration of these persons as “female” or “male”, “other” can be selected or that no entry has to occur, until the affected person has taken a decision themselves. To open up the possibility of a relationship which is characterized by responsibility and reliability sanctioned by the state and regulated by law to people who are registered in the civil register as “other”, a majority of the Ethics Board suggests to allow the possibility of registered partnership to those assigned as “other”. A part of the Ethics Council also calls to open up the possibility of marriage to them. As a basis for future decisions of the legislature it should be examined whether a registration of sex in the civil register is still required at all.

The term intersexuality refers to people who can not be classified clearly identified as “male” or “female” because of physical characteristics. It is used by the public for various characteristics of sexual development. Sometimes it also comprises people who do not see themselves as intersex and who protest against the term conceptually. The Ethics Council therefore used the term DSD (differences of sex development) in its opinion as a medical umbrella term for all particularities of sexed development. The differences between the various forms of DSD each bring with it particular problems and needs of those affected. They require differentiated ethical and legal evaluations.

In its opinion, the Ethics Council also differentiated between “gender disambiguating” and “gender assigning” interventions, which are assessed differently. The term disambiguating surgery is used for procedures which correct a biochemical and hormonal dysfunction, which potentially cause health damage. Potentially also a surgical procedure to approximate the physical appearance to the gender established by genetics and by the internal reproductive organs can be meant. In contrast, gender assigning interventions infringe much further on the personality of the child, as in the case of indeterminacy parents and doctors decide, to which gender the assignation should take place.